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„Das lag auf dem Tisch“ – Der neue Mainzer OB Michael Ebling


von Ejo Eckerle
Fotos: Sascha Kopp

Michael Ebling ist der neue OB und schwul.
Hat das etwas zu bedeuten und wenn ja, warum?

Wer Michael Ebling zuhört, wie er komplexe kommunalpolitische Probleme beschreibt und dabei die Augen schließt, glaubt den warmen, beruhigenden Bass von Rudolf Scharping zu hören, nur spricht er zum Glück doppelt so schnell. Und wenn man die Augen öffnet, ist man froh, dass er nicht Scharping ist und auch noch besser aussieht.
Zusammen mit seinem politischen Gegner Lukas Augustin sitzt Ebling auf einer kleinen Bühne in der Bar jeder Sicht, dem Mainzer lesbischschwulen Kommunikations- und Kulturzentrum. Sein linkes Anzugrevers schmückt ein kleiner Anstecker. Von weiten sieht er aus wie eine Regenbogenfahne. „Prima“, denke ich mir, „so zeigt er diskret seine Zugehörigkeit zu schwulen Community.“ Wer aber näher tritt, erkennt: Es sind gänzlich andere Farben, die er sich selbst ausgesucht hat für sein Wahlkampflogo. Nur die Anordnung der Streifen erinnern an die bekannte Flagge. Michael Ebling wirbt für sich.
Für seinen Wahlkampf holte er sich prominente Unterstützung vom Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit. Wowereit kommt in aufgeräumter Stimmung ins KUZ, um über Kultur zu diskutieren. Seinen Ausspruch „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ kennt ganz Deutschland. Der Satz machte ihn quasi über Nacht im Land bekannt. Lange hatte sich der Sozialdemokrat mit der Frage herumgeschlagen, ob und wenn ja, wann und wie er seine Homosexualität öffentlich bekannt machen soll. Ein wenig trotzig klingt diese Offenbarung heute noch nach.

Einer von uns

Michael Ebling ist um ein „lautes“ Outing herumgekommen. Das ist der Verdienst jenes Mannes, mit dem er auf dem Podium des KUZ sitzt. Im zurückliegenden Wahlkampf gab es nicht den Hauch eines diskriminierenden Affronts. In der heutigen Zeit schlüge wohl schon der Versuch massiv auf den Provokateur zurück. Trotzdem gibt es bei Ebling eine spürbare Zurückhaltung. In seiner offiziellen Biografie findet sich jener knappe Hinweis: „Ich wohne noch immer in Mombach, nun im eigenen Haus, zusammen mit meinem Partner Andreas Schulz.“ Ein Satz, der unterschwellig eine weitere Botschaft vermittelt: „Ich bin zwar ein klein wenig anders, aber immer einer von euch geblieben, ein Mombacher, ein Kind dieser Stadt.“
Den Vorwurf, sein Leben lang nur um den heimischen Kirchturm gekreist zu sein, kennt Ebling und er nimmt ihn gelassen hin. „Ich empfinde es eher als eine Liebeserklärung an diese Stadt. Die Klebekräfte waren einfach so stark, dass mich nie irgendetwas aus ihr weggezogen hat.“ Erstaunlich an Eblings Ortsverbundenheit ist aber etwas anderes: Viele schwule junge Männer in den 90er-Jahren ergriffen Hals über Kopf die Flucht, um der provinziellen Enge ihrer Heimatstädte zu entgehen und zogen in Metropolen wie Berlin, Köln oder Hamburg. Für Ebling stand dies nicht zur Debatte: „Ich habe mich hier nie eingepfercht gefühlt, zu keinem Zeitpunkt. Ich empfand Mainz nie als miefig. Aber es gab sicherlich auch bei mir hin und wieder taktische oder opportunistische Überlegungen. Ich will mich da nicht als Helden hinstellen.“

Was ist gerecht?

Man könnte vermuten, dass das Interesse der Szene enorm sein müsse, wenn zwei derart exponierte Politiker wie Ebling und Wowereit gemeinsam öffentlich auftreten. Überragend ist die Präsenz der schwullesbischen Szene an jenem Abend im KUZ jedoch nicht. Heraus sticht alleine Anna Bolikha alias Peter Mai (23), zurechtgemacht im stilsicheren Drag-Outfit. Mit seiner Frage nach der von Ebling in Aussicht gestellten Position eines städtischen Ansprechpartners für schwul-lesbische Lebensweisen nagelt er Ebling auf sein Versprechen fest. Peter Mai, Referent im Asta-Schwulenreferat, zeigt sogar ein „gewisses Verständnis“ dafür, dass Ebling sein Outing sehr vorsichtig vollzogen hat.
Ebling ist wie Wowereit Jurist, ein typisches Studienfach für soziale Aufsteiger. Wowereits Mutter war eine hart schuftende allein erziehende Frau, die im Berliner Gartenbauamt als ungelernte Arbeiterin ihr karges Auskommen fand. Michael Eblings Vater betrieb in Mombach eine Tankstelle und kleine Autowerkstatt. Er und sein Bruder waren die ersten ihrer Familie, die aufs Gymnasium gingen und Abitur machten. Ebling betont, sein Jurastudium sei keine Notlösung gewesen: „Das Thema Grund- und Freiheitsrechte hat mich damals sehr stark fasziniert. Ich konnte einen Scharfsinn dafür entwickeln, was Gerechtigkeit betrifft.“
Mit sozialen Fragen kam er früh in Berührung. Den Kriegsdienstverweigerer traf es wie viele seiner Generation: Er musste den längsten Zivildienst in der Geschichte der Bundesrepublik absolvieren, volle 20 Monate. „Und trotzdem hatte ich den tollsten Zivildienst.“ Ebling arbeitete in der Betreuung schwerbehinderter Menschen: „In dieser Zeit merkte ich deutlich, dass ehrenamtliches Engagement eine Gesellschaft lebenswerter macht und soziales Miteinander der Grundstock für ein gelingendes Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft ist. Das trägt mich bis heute.“
Ein ähnliches Motiv findet sich auch im Lebensweg von Klaus Wowereit. Er pflegte seinen gelähmten Bruder und seine schwer kranke Mutter bis zu ihrem Tod im eigenen Haushalt. Eine Zeit, von der er selbst sagt: „Eine Mischung aus Verantwortung, Stress und empfangener Dankbarkeit zog sich durch diese Jahre.“

Schwul oder lesbisch? Kein Thema!

Beide Politiker übernehmen auch später Verantwortung: Michael Ebling wird mit 28 Jahren Ortsvorsteher von Mombach, der jüngste in der Mainzer Kommunalpolitik. Klaus Wowereit wird 1984 Stadtrat für Volksbildung und Kultur im Berliner Bezirk Tempelhof – ein Stadtteil im Westen Berlins mit rund 200.000 Einwohnern. Es ist ein Fulltime-Job, Wowereit unterstehen 300 städtische Angestellte. Auch er ist zu seiner Zeit der Jüngste mit einer vergleichbaren Aufgabe.

Auffällig ist: egal ob Klaus Wowereit, der niederbayerische SPD-Landrat Michael Adam, der SPD-Wehrpolitiker Johannes Kahrs oder Michael Ebling: Sie alle haben ihre politische Laufbahn auf den unterschiedlichsten Themenfeldern begründet, nur eines spielte bei keinem von ihnen je eine wesentliche Rolle: Fragen zur schwul-lesbischen Emanzipationspolitik, zumindest so lange nicht, bis sie in wichtige Ämter kamen. Warum? Ebling beantwortet diese Frage so: „Da ich relativ früh Aufgaben und Mandate hatte, steckte das auch gewisse Kreise ab. Von einem Mombacher Ortsvorsteher hat man in erster Linie erwartet, dass er die Interessen eines nicht gerade auf Rosen gebetteten Stadtteils vertritt. Da hätte ich es fast schon als „hobbyesk“ empfunden, wenn ich mich noch zu Fragen von Lebenspartnerschaften oder Gleichstellung verhalten hätte.“ Als Ebling Mainzer Jugend- und Sozialdezernent wird, kommt er zum ersten Mal direkt mit dem Thema politisch in Berührung. Unter dem unverdächtigen Titel „Bunt wie das Leben“ wurde vor zehn Jahren die erste Aids-Gala, eine Benefizveranstaltung, organisiert. Ebling zieht seine Strippen und sorgt dafür, dass die Events im Haus der Jugend einen würdigen Rahmen finden. „Da lag es auf dem Tisch“. Über freundliche Interventionen des Michael Ebling zu seinen Gunsten durfte sich auch der Kulturverein PENG freuen, der nun ein neues Zuhause gefunden hat. Eblings Art, mit lustigen Sprüchen und gelegentlich verblüffend selbstironischen Anmerkungen seine Zuhörer zum Schmunzeln zu bringen, dürfte ihm noch nützlich sein. Bald schon wird er den Mainzer Bürgern die eine oder andere bittere Pille reichen müssen, wenn er es mit dem Jahrhundertprojekt Entschuldung ernst meint. Und auch dabei ähnelt er dann seinem Berliner Amtsbruder. Denn der weiß sehr genau, wie man mit einem verschmitzten Grinsen noch die gröbsten Grausamkeiten verkündet.