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El-Hadji-Sy-Retrospektive Ich packe meinen Koffer und nehme mit...

...Teerberge, Jutesäcke und Metzgerpapier: Mit seiner El-Hadji-Sy-Retrospektive präsentiert das Frankfurter Weltkulturen Museum einen Künstler und Kurator, der in seinen Methoden und Materialien stets das Unkonventionelle sucht.
Von Vivien Timmler

Reisekoffer, neun an der Zahl, in verschiedensten Größen und Farben. Das ist das erste, was man sieht, wenn man das Foyer des Frankfurter Weltkulturen Museums betritt. Jedoch sind diese nicht etwa achtlos hingestellt und für einige Zeit dort vergessen, nein. Sie sind viel mehr achtsam arrangiert, kunstvoll gestaltet. Und es sind auch nicht irgendwelche Koffer: Es sind Reisekoffer, in denen Kunst gereist ist - ganze 5.699 Kilometer.

So lang ist der Weg von der senegalesischen Hauptstadt Dakar nach Frankfurt. Hier werden aktuelle Werke des Künstlers El Hadji Sy mit einer 40 Jahre umfassenden Kunstsammlung verschiedener westafrikanischer Künstler zusammengebracht, welche Sy als Kurator über Jahrzehnte selbst ankaufte.

Vor 40 Jahren nämlich begann das Museum am Schaumainkai mit dem Sammeln afrikanischer Gegenwartskunst. Eine damals einzigartige Entwicklung, da die wenigsten Museen zu dieser Zeit bereits afrikanische und europäische Kunst als gleichwertig betrachteten. Im Jahr 1985 beauftragte schließlich der damalige Direktor Josef Franz Thiele den Senegalesen El Hadji Sy damit, Kunstwerke für die Frankfurter Sammlung anzukaufen. Was nun im Weltkulturen Museum zu sehen ist, ist eine Retrospektive dieses bemerkenswerten Künstlers und Kurators, die seine eigenen Werke mit der von ihm gesammelten afrikanischen Gegenwartskunst zusammenbringt und durch einige ethnologische Objekte aus dem Fundus des Museums ergänzt.

Was man seinen Kunstwerken auf den ersten Blick nicht unbedingt ansieht: El Hadji Sy ist über seine Heimat hinaus nicht nur für seine Kunst, sondern auch für seine rebellische Einstellung über die staatlichen Kulturpolitik bekannt. Der erste Staatspräsident des 1960 unabhängig gewordenen Senegal, Léopold Sédar Senghor, ließ während seiner 20-jährigen Amtszeit teilweise bis zu 30 Prozent des Staatshaushaltes in die Kultur fließen - eigentlich optimale Bedingungen für junge, aufstrebende Künstler.

Mit nackten Füßen auf Jutesäcken

Jedoch erwartete man im Gegenzug von diesen eine Kunst, die die Identität und die Selbstbehauptung "des Afrikanischen" zum Mittelpunkt ihrer selbst macht. Diese Idee von Kunst war El Hadji Sy jedoch vollkommen zuwider, für ihn existiert "das Afrikanische" nicht - und so gründete er gemeinsam mit anderen Künstlern Institutionen wie das Künstlerkollektiv AGIT'Art und das Village des Arts, um sich unabhängig vom Staat künstlerisch weiterentwickeln zu können.

Gleichzeitig begann El Hadji Sy auch, sich von der klassischen Staffelmalerei zu lösen. Er probierte neue Stoffe aus, entdeckte gebrauchte Jutesäcke und sogenanntes Metzgerpapier für sich. Dazu fing er an, den Jutestoff auf den Boden zu legen und ihn mit den nackten Füßen zu bemalen. Schließlich entdeckte er eine Möglichkeit, die Kunst regelrecht zu ertanzen, mittels seines Körpers wollte er den Rhythmus und die Musik auf das Werk auftragen. Herausgekommen sind großflächige Werke, die Sy teilweise wie Wandteppiche inszeniert - ein symbolischer Tritt gegen die staatliche Förderung von Wandteppichen. Auf einigen seiner Werke sind diese Tritte klar erkennbar, anderen sieht man hingegen nicht an, dass sie mit den Füßen gemalt wurden.

Durch die Schaffensphasen Sys hindurch zieht sich eine gewisse Sinnlichkeit, ausgelöst durch die Kombination satter, warmer Farben. Doch auch die Materialien, die er verwendet, sind bedeutsam. Für sein Werk "Le Guerreur" arbeitet El Hadji Sy mit Teer, um die Schwere und Härte des Kämpfers herauszuarbeiten. Dann wiederum schichtet er Wachs auf den Juteuntergrund und verleiht seinem Werk damit eine unverwechselbare Mehrdimensionalität.

Eines seiner neueren Werke aus dem Jahr 2014 ist hingegen aus Bleistiftzeichnungen und schwungvollen Kordelelementen entstanden, sie sich in Schlaufen über das gesamte Bild ziehen. Sowieso ist diese Schlaufe - egal, ob mit Bleistift gezeichnet, mit Pinsel gemalt oder mit Kordel gelegt - das Schlüsselelement vieler seiner Werke. Diese Schlaufe, die einerseits wieder zu sich selbst zurückkehrt, andererseits immer auch in etwas Neuem mündet.

Am Ende sind es mehrere Werke, die aus dieser so beachtenswerten Retrospektive herausstechen. Eines davon ist "Archéologie Marine". Die Arbeit aus Acryl auf Kaffeesäcken und Fischernetzen kam geradewegs von der Biennale São Paulo in das Weltkulturen Museum. Weil man das 5 mal 16 Meter große Werk irgendwie transportieren musste, schnürte man es in Brasilien mit Kabelbindern zusammen. So in sich zusammengepfercht lässt sich die Schönheit dieses riesigen Werkes zwar nur erahnen - in seiner gefesselten, beherrschten Form kommt es seiner Aussage, nämlich dem Gedenken an die zu Tausenden auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrinkenden Afrikaner, noch ein Stück näher. Und es erweitert - genau wie El Hadji Sys gesammelte Werke - eine ganz besondere Linie: den eigenen Horizont.


Ausstellungsangaben:
El Hadji Sy. Painting, Performance, Politics. Weltkulturen Museum,  Frankfurt/Main, noch bis 18. Oktober 2015.