Karfreitagsgefecht

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Karfreitagsgefecht
Teil von: Krieg in Afghanistan
Datum 2. April 2010
Ort Bei Isa Khel in der Provinz Kundus
Ausgang Propagandaerfolg der Aufständischen
Konfliktparteien

Deutschland Deutschland
Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten
Afghanistan 2002 Afghanistan

Afghanistan Islamisches Emirat 1997 Taliban
Islamische Bewegung Usbekistans

Truppenstärke

unbekannt

mind. 70–80 Aufständische

Verluste

Deutschland ein Dingo zerstört,
drei Gefallene und
acht Verwundete
Afghanistan 2002 mind. sechs Gefallene

mind. fünf Gefallene

Das Karfreitagsgefecht war am 2. April 2010 ein Feuergefecht im Rahmen des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan zwischen einer Fallschirmjägereinheit und radikal-islamischen Taliban. Diese wurden unterstützt durch die Islamische Bewegung Usbekistans. In dem Gefecht fielen drei Fallschirmjäger. Beim Karfreitagsgefecht waren deutsche Soldaten zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg an länger anhaltenden Kampfhandlungen mit eigenen Verlusten beteiligt.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu dem Gefecht kam es im Raum Kundus im Rahmen der dortigen ISAF-Operationsführung und der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan.

Verlauf des Gefechtes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am Karfreitag 2010 hatten Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 373 aus Seedorf den Auftrag, Sprengfallen aufzuklären und zu beseitigen.

Gegen 13 Uhr Ortszeit wurden die 34 Fallschirmjäger, geführt von ihrem Kompaniechef, von 30 bis 40 Aufständischen aus dem Hinterhalt heraus unter massiven Beschuss genommen. Dabei wurden frühzeitig drei Soldaten verwundet, zwei davon schwer, Oberfeldwebel Naef Adebahr und Stabsgefreiter Robert Hartert. Der Kompaniechef forderte Verstärkung an, woraufhin sich eine Reservekompanie aus dem Feldlager Kundus in Marsch setzte.

Mit Aufklärungsdrohnen der Typen Luna und KZO wurde das Gefecht beobachtet. Auch Kampfflugzeuge der US-Streitkräfte befanden sich über dem Gefechtsfeld, konnten aber wegen der Gefahr des Eigenbeschusses nicht eingreifen. Oberstabsarzt Ulrike Hödel und Hauptfeldwebel Gerhard Haben versorgten als Sanitäter in der Kampfzone die Verwundeten, die später von US-Hubschraubern des Typs Black Hawk unter Beschuss der Landezone aufgenommen und in das deutsche Einsatzlazarett in Kundus ausgeflogen wurden. Beim Versuch, sich vom Feind zu lösen, geriet ein Dingo gegen 14:50 Uhr in eine Sprengfalle. Dabei wurden vier Fallschirmjäger verwundet (drei davon schwer), unter ihnen auch Hauptfeldwebel Nils Bruns und Hauptgefreiter Martin Augustyniak.[1][2]

Parallel dazu griffen rund 40 Aufständische um 15:35 Uhr ein nahes Lager der afghanischen Polizei an; dieser Angriff konnte abgewehrt werden.

Im weiteren Verlauf des Gefechtes der deutschen Fallschirmjäger mit den Aufständischen wurden vier weitere Soldaten verwundet. Erst nach acht Stunden Gefecht konnte die Reservekompanie die Fallschirmjäger ablösen, die daraufhin in das Feldlager Kundus zurückkehrten, das sie gegen 21:50 Uhr erreichten. Im Laufe des Gefechtes wurden durch die Bundeswehrsoldaten über 25.000 Schuss abgegeben.[3] Das Gefecht dauerte neun Stunden.[2] Eine Schilderung des Gefechts und eine kritische Stellungnahme eines der beteiligten Soldaten findet sich im NDR-Podcast „Killed in Action – Deutschland im Krieg“.[4]

Im Rahmen der Operation Tür wurden die Türen des zerstörten Gefechtsfahrzeuges vom Typ Dingo am 9. September 2011 durch Panzergrenadiere einer Kampfeinheit der Task Force Kunduz III (Ausbildungs- und Schutzbataillon) in Isa Khel geborgen[5] und später am Ehrenhain der 2. Infanteriekompanie im Feldlager Kundus aufgestellt.[6] Inzwischen haben sie ihren Platz in einem Gedenkraum des Fallschirmjägerregiments in Seedorf gefunden.[7]

Verluste[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ehrenhain Kundus im Wald der Erinnerung bei Potsdam
Ehrenhain des Feldlagers Kundus

Hauptfeldwebel Nils Bruns (35 Jahre), Stabsgefreiter Robert Hartert (25) und Hauptgefreiter Martin Augustyniak (28), alle vom Fallschirmjägerbataillon 373, fielen im Karfreitagsgefecht.[2] Ihrer wird unter anderem im Wald der Erinnerung gedacht, in dem sich heute der Ehrenhain Kundus befindet. In Bielefeld-Quelle wurde nach einiger politischer Diskussion ein Platz zur Erinnerung an den Hauptgefreiten Martin Kadir Augustyniak nach ihm benannt und mit einem Gedenkstein und einer Informationsstele[8] gestaltet.[9][10][11]

Zivile Pick-ups mit Soldaten der afghanischen Armee wurden von einem Schützenpanzer Marder der Reservekompanie irrtümlich beschossen. Die deutschen Soldaten hatten während des Anmarschs einen weiteren Angriff durch Aufständische befürchtet und Anhaltesignale gegeben. Da diese nicht beachtet wurden, erfolgte der Beschuss und sechs der Soldaten wurden getötet.

Nach Angaben des Chefs des afghanischen Geheimdienstes sind mindestens fünf Taliban bei dem Gefecht ums Leben gekommen, darunter auch ein lokaler Anführer.[12]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Naef Adebahr (1. v. l.), Ralf Rönckendorf (2. v. l.), Jason LaCrosse (2. v. r.) und Maik Mutschke (1. v. r.) im September 2012

Mario Kunert, Philipp Oliver Pordzik, Ralf Rönckendorf, Maik Mutschke, Robert Hartert und Martin Kadir Augustyniak wurden für ihren Einsatz mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit ausgezeichnet.[13]

Nils Bruns, Ulrike Hödel und Gerhard Haben erhielten aufgrund ihrer herausragenden Leistungen das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold in besonderer Ausführung.[14]

Den US-amerikanischen Soldaten Robert McDonough, Steven Husted, Jason LaCrosse, Nelson Visaya, Jason Brown, Sean Johnson, Eric Wells, Travis Brown, William Ebel, Antonio Gattis, Steven Shumaker, Matthew Baker, Todd Marchese und Gregory Martinez wurde aufgrund ihrer herausragenden Leistungen bei der Rettung der Verwundeten ebenfalls das Ehrenkreuz in Gold in besonderer Ausführung verliehen.[15][16] LaCrosse wurde außerdem mit dem Silver Star ausgezeichnet, die anderen (außer Baker und Martinez) erhielten das Distinguished Flying Cross.[17]

Ralf Rönckendorf, der einem Kameraden unter Beschuss das Leben rettete und sein Augenlicht verlor, wurde 2011 mit dem Medienpreis Bambi geehrt.[18]

Wendepunkt für Geschichte der Bundeswehr[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte nach dem Gefecht: „Kundus, das ist für uns der Ort, an dem die Bundeswehr zum ersten Mal gekämpft hat, lernen musste, zu kämpfen. Das war eine Zäsur – nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die deutsche Gesellschaft.“[19] Es war der erste Militäreinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg, bei dem mehrere deutsche Soldaten in einer Kampfhandlung ums Leben kamen.[20] Verteidigungsminister zur damaligen Zeit war Karl-Theodor zu Guttenberg.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christoph Reuter: In der Kill-Zone. Das Karfreitags-Gefecht 2010 bei Isa Chel. In: Pallasch. Zeitschrift für Militärgeschichte. Bd. 16 (2012), Heft 42, S. 137–142.
  • Joachim Hoppe, Sascha Brinkmann, Wolfgang Schröder: Feindkontakt: Gefechtsberichte aus Afghanistan. 2. Auflage. Mittler Verlag, 2014, ISBN 978-3-8132-0954-9 (E-Book (2015): ISBN 978-3-8132-1015-6).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Videos[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Audio[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bundeswehr im Gefecht – Tragödie am Karfreitag. In: Die Welt. 1. Oktober 2015. (Video; 2:43 min)
  2. a b c Mathis Feldhoff, Hans-Ulrich Gack, Andreas Huppert: Deutsche Fallschirmjäger Feuergefecht. In: Der Krieg bleibt. ZDF-Dokumentation. Auf: YouTube. 12. August 2011. (Video; 11 min)
  3. Bezogen auf die Kräfte in Stärke 34 – 3 + 4 Ausfälle bei 3 MG und 31 G36 eine durchschnittliche Schussanzahl von über 700 Schuss
  4. NDR: Killed in Action (Folge 4): Der Hinterhalt. In: NDR Info. Norddeutscher Rundfunk (NDR), 30. August 2019, abgerufen am 29. Mai 2021 (Audio, 40:40 min).
  5. „Operation Tür“: Bergung in den frühen Morgenstunden. In: Deutscher Bundeswehrverband / dbwv.de. Abgerufen am 10. Juli 2021 (deutsch).
  6. Marcel Bohnert & Andy Neumann: Panzergrenadiere im Kampfeinsatz in Afghanistan. In: Freundeskreis der Panzergrenadiertruppe (Hrsg.): Panzergrenadiere. Eine Truppengattung im Wandel der Zeiten, Munster u. a. 2016, ISBN 3-933802-35-0, S. 43ff.
  7. Marcel Bohnert: Afghanistan-Rückkehrer: Ich war in einem Krieg, den es nicht geben durfte. In: Der Spiegel. 7. August 2021, abgerufen am 8. August 2021.
  8. In Gedenken an Martin Augustyniak Veteranenkultur. In: Veteranenkultur. Abgerufen am 11. Februar 2021 (deutsch).
  9. Alexander Schröder: Für Martin Augustyniak: Ein Platz in der Heimat In: Bundeswehr. 6. Oktober 2020.
  10. Platzlage und Fotos
  11. Alexander Menden: Platz für einen Gefallenen. In: Süddeutsche Zeitung. 28. August 2020, S. 6.
  12. Matthias Gebauer, Shoib Najafizada: Taliban-Angriff auf die Bundeswehr: Blutiger Karfreitag in Camp Kunduz. Spiegel Online, 2. April 2010.
  13. Burkhard Schmidtke, Jan Rippl: Ehrenkreuze für Tapferkeit und Einsatzmedaillen Gefecht verliehen. In: .bmvg.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 29. November 2014; abgerufen am 26. März 2016.
  14. Sanitätsdienst Bundeswehr: Aushändigung Ehrenkreuz. In: sanitaetsdienst-bundeswehr.de. Abgerufen am 26. März 2016.
  15. Gemeinsam gekämpft: Deutsch-amerikanisches Wiedersehen nach überstandener Gefahr. In: deutschesheer.de. Abgerufen am 26. März 2016.
  16. Fourteen U.S. Army Europe aviators to receive Bundeswehr medal for valor. In: www.eur.army.mil. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 11. September 2015; abgerufen am 26. März 2016 (englisch).
  17. Dan Blottenberger: Medevac soldiers honored for their heroism during ceremony. The Stars and Stripes, 13. Dezember 2010. (englisch)
  18. Werner Mett: Sonderpreis für gebürtigen Brüsewitzer. In: Schweriner Volkszeitung. Abgerufen am 1. Juli 2022.
  19. Hans Monath: Taliban erobern Kundus – den Symbolort deutscher Afghanistan-Politik. In: Tagesspiegel. 8. August 2021, abgerufen am 11. Februar 2022.
  20. Marco Seliger: Deutsche Ärzte retten einem ukrainischen Soldaten den Arm – er will bald zurück an die Front. In: Neue Zürcher Zeitung. 4. August 2023, abgerufen am 11. August 2023.